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Vorab: Diese Zeilen verfasst ein politisch und theologisch Konservativer und gewiss kommt Missbrauch in allen geistlichen Lagern vor (von Korntal bis Ahrensburg).
Aber: Eine politisch-weltanschaulich ganz anders geartete Korrespondenzpartnerin wies mal auf den Zusammenhang zwischen organisiertem Missbrauch und den Themenbereichen Prostitution, Pornographie und Sado-Masochismus hin.
Ich finde, dass in diesen Punkten gewisse progressive Teile der EKD etwas unbedarft handeln. Da lädt eine vom nordkirchlichen Frauenwerk getragene Organisation zu einer "Sexarbeitswoche" u.a. mit einer Domina ein ( Frauenwerk der Nordkirche: Kiel: Themenwoche rund um Sexarbeit ). Da wird eine christliche Sadomasochisten-Gruppe vom EPD vorgestellt ( Sexualität: Fesseln, schlagen, Bibel lesen – Christen und SM - WELT ). Da wird auf chrismon ein mE unkritisches Interview zum Thema Pornographie ( Gute und schlechte Seiten von Pornografie - warum ein souveräner Umgang mit Sexfilmen wichtig ist | chrismon ) geführt.
Diese vermeintlich progressive Sexualethik deutet mE daraufhin, dass in Sachen Sensibilisierung puncto sexualisierter Gewalt in der EKD noch viel zu tun ist. Gerade unter präventiven Gesichtspunkten ist ein totales laissez-faire, wie es jetzt auch zum Thema der Polyamorie geführt wird ( "Es ist nicht defizitär, mehr als einen Menschen zu lieben." (Teil 2) | evangelisch.de ) mE Fehl am Platze.
@tim1979 zu Deiner Frage fiel mir ein Artikel „Warum ist postevangelikale und progressive Theologie so erfolgreich“ auf biblipedia, den ich vor einiger Zeit las, ein.
Sorry Tim1979, ich verstehe nur Bahnhof.. Was willst du eigentlich mitteilen? Und wogegen bist du eigentlich? Gegen die Ekd? Gegen Polyamorie? Gegen alles?
@schnabbeltante Vielen Dank für die Nachfrage. Ich setze mich für einen sensibleren Umgang der EKD mit dem Thema sexualisierte Gewalt ein und wollte in dem Kontext die von Teilen der EKD beförderte vermeintlich progressive Sexualethik kritisch beleuchten.
@elsa-nicklas-beck Liebe Frau Nicklas-Beck,
vielen Dank für den interessanten Hinweis, der mich interessierte,
da ich
a) mich seit einer unglücklich verlaufenen Tagung - hätte mich als norddeutscher Gnesiolutheraner nicht unter schwäbische Pietisten mischen sollen - ich mich mit geistlichen Missbrauch im evangelikalen Bereich (dort vaD den stärker werdenden pfingstlich-charismatischen Teil) beschäftige,
b) vor einiger Zeit mit dem mir bis dato unbekannten Begriff des Postevangelikalismus, der ja nicht unumstritten ist ( Postevangelikalismus: Eine Hinführung von Thorsten Dietz | RefLab ) von einer Dritten konfrontiert wurde.
Jedoch trifft der Biblia-Artikel nicht ganz das, was ich meine. In dem von Ihnen genannten Artikel von Dr. Markus Till geht es ja um eine innerevangelikale Debatte. Was hier als postevangelikale-progressive Sexualethik bezeichnet wird, ist im volkskirchlichen Maßstab trotz Abweichungen von der klassisch pietistisch-evangelikalen doch relativ konservativ. Mir geht es um die vaD am linkem EKD-Flügel aufgebrachten topoi, die mE deutlich über das Ziel hinausschießen und auch unter präventiven Gesichtspunkten kritisch zu sehen sind.
Nichtsdestotrotz viele Grüße und herzlichen Dank für die BeFo-Mitarbeit
Tim
Hallo Tim
Wer die ForuM Studie aufmerksam gelesen hat, der hat sicherlich mitbekommen, dass der progressive Umgang mit Sexualität in der EKD zwei Seiten hat:
Ich zitiere aus den in der Studie aufgeführten Facharbeitenbeschreibungen:
„Enders et al. beschreiben Distanzlosigkeit, „Pseudovertrautheit“ und eine „[…] allzu familiäre Umgangsweise […]“ (ebd.), die es Kindern und Jugendlichen erschwere, Widerstand gegen sexuelle Grenzverletzungen zu leisten. Vor allem der Blick auf männliche Pfarrer bzw. das evangelische Pfarrhaus als Ort, an dem diese Art der Distanzlosigkeit beobachtet wird, weist auf spezifisch evangelische Strukturen hin, die sexualisierte Gewaltverhältnisse begünstigen, aufrechterhalten und verdecken.“
Dieser Punkt würde ja grundsätzlich deine Sichtweise decken. Allerdings – wer glaube, es sei nicht nötig den Umgang mit Pornografie, Sexarbeit, Fetischen oder im Allgemeinen Vorlieben progressiv in alle Bereiche der Gemeinden zu bringen, der hat nicht weitergelesen.
„Eine daran anknüpfende Diskussion bezieht sich auf Sexualpädagogik bzw. den (pädagogischen) Umgang mit den Themen Sexualität und sexualisierte Gewalt. Als tatbegünstigend wird unter anderem die fehlende bzw. unzureichende Forschungsstand zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie Aufklärung über Sexualität und sexualisierte Gewalt in pädagogischen Einrichtungen problematisiert (vgl. Bange 2018, S. 95 ff.; Pöter/Wazlawik 2018a, S. 115 ff.). Diskutiert wird unter anderem die Notwendigkeit sexualpädagogischer Maßnahmen im Kontext von Prävention und Intervention. Diese sollen eine Enttabuisierung von Sexualität, Macht und Gewalt und eine Sprachfähigkeit ermöglichen, mit der Grenz- und Gewalterfahrungen besser eingeordnet und artikuliert werden können (vgl. ebd.; Wazlawik/ Christmann/Dekker 2017; Thompson 2012; Sanyal 2019).
Soll heißen: wer Pornos, Sexarbeit, nicht hetero-normativ konservative Lebensentwürfe (nur ein Mann, nur eine Frau) aus der Aufklärung in der Kirche entfernen möchte, der tabuisiert und schafft für Täter nur eine weitere Möglichkeit Scham und Angst als Druckmittel zu verwenden.
Oder weiter " Die Entwicklung und der Diskurs eines positiven grenzachtenden Sexualverständnisses, dass ideologische Einflussnahmen reflektiert und Geschlechter
Berücksichtigt ist… …hier notwendig."
Das nach deinen Worten „unkritische“ Interview von Chrismon beinhaltet folgende, wichtige Aussage:
„Pornonutzung ist bis heute stigmatisiert. Es gucken viel mehr Menschen Pornos, als sie es moralisch vertretbar finden. Sie finden es falsch – und machen es trotzdem. Das zeigt, dass das Bedürfnis groß ist. Und das schlechte Gewissen auch. Viele Menschen haben Schuldgefühle nach dem Masturbieren zu Pornos. Daher behalten sie es erst recht für sich.“
Schuld, Scham und Stigmatisierung spielen Tätern in die Hände. Gleichzeitig müssen klare Grenzen und Regeln für den Umgang mit Sexualität in kirchlichen Einrichtungen gesetzt werden. Wenn man über Dinge nicht spricht, sind sie ein Tabu. Wenn Sexarbeit nicht diskutiert wird, sind Sexarbeiter*innen vulnerabler ggü. Tätern, weil diese sie erpressen können, denn sie haben ja ein „dunkles Geheimniss“ oder sind „weniger Wert“, weil sie stigmatisiert sind. Usw. usf.
Fiktives Beispiel:
Ein Jugendgruppenbetreuer erwischt einen 14 Jährigen beim Masturbieren zu einem Pxrno. In diesem Beispiel ist der Betreuer ein Täter. Wir haben dann zwei Möglichkeiten:
Sind Pornos ein Tabu, kann er das für sich nutzen, „du willst doch nicht, dass die anderen das erfahren, oder? Komm mal her und ich zeige dir wie das wirklich geht.“ Der Jugendliche, der zugeben müsste ein Tabu gebrochen zu haben (Pxrnos konsumiert zu haben) hätte eine große Hürde diesen Übergriff zu melden oder abzuwehren.
Die andere Möglichkeit: Pxrnos gucken ist normal und in Ordnung. Der Jugendliche weist den Täter ab, meldet seine Übergriffigkeit und schützt damit sich und andere.
Noch besser wäre es, wenn der Betreuer kein Täter wäre, sondern ein geschulter Mitarbeiter: dann könnte er bei Gelegenheit den Jugendlichen darauf ansprechen und sicherstellen, dass es sich um einen gesunden Konsum handelt und kein falscher Eindruck von Sexualität die man real mit anderen Personen auslebt entsteht und die man eben dann nicht alleine erlebt, sondern respektvoll und im gegenseitigen Einverständnis miteinander.
Ich schreibe diesen Text als jemand, dem etwas Ähnliches wie im oben genannten Beispiel passiert ist. Ich bin schwul und musste das in den 90ern als 13 Jähriger verheimlichen. Das hat sich der Täter, der mich zu einem Opfer sexualisierter Gewalt gemacht hat, zu Nutze gemacht.
Soweit meine Ansicht dazu. Ich bin gespannt deine Antwort zu lesen.
Noch eine kleine Anmerkung zum Schluss: Ich habe Schwierigkeiten deine Text zu lesen und zu verstehen im Bezug auf die von dir verwendeten Termini:
Gnesiolutheraner, schwäbische Pietisten, pfingstlich-charismatischen, Postevangelikalismus, innerevangelikale Debatte – ich habe keine Ahnung was das alles ist.
Den Satz „Was hier als postevangelikale-progressive Sexualethik bezeichnet wird, ist im volkskirchlichen Maßstab trotz Abweichungen von der klassisch pietistisch-evangelikalen doch relativ konservativ.“ kann ich nicht mal deuten. Das könnte auch Foucault geschrieben haben. 😉
Liebe Grüße aus Hamburg!
Nachtrag: Warum ist das Wort "Pxrno" nicht erlaubt? Da fängt es ja schon an - wie soll man den über sexualisierte Gewalt diskutieren, wenn man schon die Wörter, die dieses Thema betreffen nicht benutzen "darf"?
@hamburger Lieber Hamburger,
vielen Dank für die nicht nur umfangreiche, sondern auch inhaltlich wie formal sehr anregende Replik. Wegen momentanen Zeitdrucks von mir etwas kürzer:
Ich denke, dass inhaltlich die Wahrheit in der Mitte liegt. ME ist die totale Tabuisierung der von mir genannten Themen, wie sie sicherlich von konservativer Seite betrieben wird, als auch eine (mE zu starke) Enttabusierung, wie sie mE an zitierten Stellen betrieben wurde, falsch und kann sexualisierte Gewalt befördern.
Entschuldige, dass ich nach dem Textverweis von Frau Niclas-Beck zu laientheologisieren begonnen habe. Vielleicht als eine Art Glossar:
Gnesiolutheraner: Theologen des späten 16. Jhd., die sich als Wahrer Luthers sehen, wobei sie besonderen Wert auf die Theologie Luthers legen, die sie (aus Sicht ihrer Gegner sehr streng) systematisieren und dogmatisieren (man spricht auch von lutherischer Orthodoxie).
Pietismus: Richtung, die zeitlich auf die lutherische Orthodoxie folgt und weniger Wert auf die Lehre legt, sondern stärker die fromme Praxis einfordert (in Württemberg sehr verbreitet, u.a. Korntaler Brüdergemeinde, fernsehtechnisch in gewisser Weise in der Schwarzwaldklinik durch Prof. Brinkmanns Hausdame Frau Michaelis karrikiert).
Evangelikalismus: Im 19. Jhd. entstehende Bewegung, die auf dem Pietismus und den Freikirchen (Täufer etc.) aufbaut.
Pfingstler: Anfang des 20. Jhd. entstandene (sich u.a. derzeit in Südamerika stark ausbreitende) Bewegung, die sehr auf das Wirken des heiligen Geistes setzt, was für eher Nüchterne Mensche wie mich teilweise skurille Auswirkungen hat (Krankenheilungen in Gottesdiensten, Umfallen nach Segnung durch den Pastor etc.).
Postevangelikale: Begriff aus neuester Zeit, meint Evangelikale, die sich von bestimmten Elementen des Evangelikalismus (u.a. sehr strenge Sexualethik) distanzieren.
Auch wenn oder gerade weil ich von den französischen Strukturalisten wenig halte, musste ich über den in gewisser Weise schmeichelndenVergleich mit Foccault schmunzeln. Wenn Du den von Frau Beck-Niclas zitierten Text liest ( Warum ist postevangelikale und progressive Theologie so erfolgreich? - biblipedia.de ), dann sind ja die sogenannten Postevangelikalen mit ihren Zugeständnissen an eine moderne Sexualethik (Billigung von Homosexualität etc.) aus Perspektive einen klassischen Evangelikalen progressiv, aber aus Sicht eines Mainstream-Landeskirchlers ja immer noch konservativ. Ich hoffe, ich habe mich jetzt verständlicher ausgedrückt. Ansonsten dazu und zu den anderen Punkten gelegentlich mehr.
Viele Grüße
Tim